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Artikel aus der «Schweizer Familie» vom März 2022

Text Christoph Grenacher

Lukas leidet an Zöliakie. Herkömmliche Backwaren sind für ihn Gift. Seine Mutter Jacqueline Bättig stellte deshalb die erste Glutenfrei-Bäckerei in der Ostschweiz auf die Beine. Und stiess auf grosses Echo.

Am Schluss blieb vor fünf Jahren nur noch der Gang zum Arzt. Lukas, damals 7, hatte Magenkrämpfe, Durchfall, Blähungen. Der Antikörper- Bluttest war positiv, die folgende Dünndarmbiopsie nichts für schwache Nerven: Eine Kamerasonde wird über Mund, Speiseröhre und Magen in den Dünndarm ein- geführt und schnippelt dort Gewebe weg.
Der Sohn von Jacqueline Bättig litt an einer Entzündung der Dünndarmschleimhaut. Die Zotten, die für die Aufnahme von Nährstoffen in Blut und Lymphe sorgen, sterben ab, dem Körper fehlen lebenswichtige Vitamine. Ob Weizen, Dinkel, Gerste, Roggen oder Hafer – für Lukas standen Produkte mit diesen Inhaltsstoffen fortan für immer auf der schwarzen Liste: kein Gipfeli mehr, keine normalen Nudeln, kein Schoggikuchen, keine Spitzbuben oder Vanille-Ringli, kein Birchermüesli.
Nun gibt es hierzulande selbst bei den Grossverteilern allerlei glutenfreie Regal- ware, mittlerweile verlangen auch viele Gesunde danach, die dem modernen Lifestyle frönen. Produkte ohne die unverträglichen Getreide gibt es entweder gefroren im Onlinehandel oder sonst, sagt Bättig, «fast schon klinisch verpackt und mit vielen Zusatzstoffen weit unten im Regal. Sie schmecken vielfach fad und künstlich.»

Selbsthilfe
Ein gutes Sortiment an frischen Backwaren also suchten Zöliakiekranke wie Lukas vergebens; umso schlimmer, dass die Bättigs gleich gegenüber einer Bäckerei wohnen, die ihr Sohn seit der Diagnose nicht mehr betreten mochte: «Es brach mir das Herz, dass wir Lukas nicht das kaufen konnten, worauf er gerade Lust hatte», bedauert die Mutter.
Doch Selbstmitleid ist nicht das Ding der Familie: Bättigs Mann, ein gebürtiger Berner, beschäftigt in seinem Thurgauer Unternehmen für gedruckte und digitale Medien 40 Angestellte, seine Ehefrau hatte nach der erfolgreichen Aufbauphase im Familienbetrieb Lust auf etwas Neues. Dem Unternehmer-Ehepaar war stets auch klar, dass das am besten gelingt, was einen auch unmittelbar betrifft: «Selbsthilfe ist immer besser als Jammern; selber für sich zu sorgen, immer besser, als auf Hilfe zu warten», sinniert Ehemann Markus Bättig.
«Zu Hause habe ich stets gerne gebacken», erzählt die quirlige Mutter, «seit Lukas’ Diagnose natürlich auch mit den für ihn verträglichen Zutaten.» Dass es aber damals, wie ihr Mann herausfand, landesweit nur gerade in der Stadt Bern eine Bäckerei gab, die ein gutes Sortiment an frischen glutenfreien Backwaren anbot, war die Initialzündung für die Geschäftsidee: Jackie’s war geboren. Ein guter Occasions-Backofen, der peinlichst gereinigt und desinfiziert wurde, war ebenso rasch gefunden wie eine wuchtige Knetmaschine, befreundete Mütter und Kolleginnen, alles nicht gelernte Bäckerinnen, wurden im Stundenlohn für die Arbeit in der Backstube verpflichtet.
Der Antrieb der Geschäftsfrau hatte ebenfalls einen Namen: «Lukas. Ich möchte, dass die Augen von Leuten mit Zöliakie oder anderen Glutenunverträglichkeiten so leuchten wie die meines Sohnes, wenn er das auswählen kann, worauf er gerade Lust hat.»

Schlange stehen
Seither sperrt Jacqueline Bättig jeden Freitagmorgen um sechs Uhr ihren Laden im hippen Winterthurer Neuhegi-Quartier auf: Vorarbeit für den folgenden Verkaufstag. Sie produziert mit Mischungen aus Reis-, Mais- oder Leinsamenmehl, die sie von einer Glutenfrei-Mühle auf dem Areal der alten Gurtenbrauerei in Wabern bei Bern bezieht, acht bis zehn Brotsorten und Zopf, Süsses wie Nussstangen oder «Wintibuebe» und salziges Apérogebäck. Am Samstag beginnt die Frühschicht bereits um drei Uhr, damit um neun Uhr morgens die Ware verkaufsfertig ausliegt.
Am Eröffnungstag standen die Kunden Schlange, und die Gestelle waren nach drei Stunden ratzekahl geleert, was auch mit einer pfiffigen Verkaufsidee zu tun hat: Bei der vorerst nur am Samstag geöffneten Bäckerei – das Geschäft soll kontinuierlich hochgefahren werden – können Interessierte die Backware vorbestellen und am Verkaufstag ofenfrisch abholen. Bättig: «Das Modell funktioniert bestens, und wir können noch besser abschätzen, wie viel wir produzieren müssen.»
Die erste Bäckerei der Ostschweiz, die komplett gluten- und laktosefreie Back- waren produziert, ist bereits kurz nach der Eröffnung ein Erfolg. Wohl auch deshalb, weil sich derartige Angebote rasch herum- sprechen – jeder Hundertste ist von Zöliakie betroffen – und der Markt noch lange nicht gesättigt scheint. Auch Jacqueline Bättig will ihr gelungenes Start-up weiter- entwickeln: Ausser über die Ausweitung des Sortiments denkt die Teilzeitbäckerin bereits über zusätzliche Öffnungszeiten des Ladens an der Winterthurer Sulzerallee nach – aber in Bättig steckt auch das Unternehmer-Gen, das eine Geschäftsidee skalieren und zum flächendeckenden Erfolg führen will: «‹Alles frisch vor Ort durch uns produziert› ist das simple Erfolgsrezept von Jackie’s. Ein Erfolgsmodell, dessen Geschichte noch nicht zu Ende ist.»